Das hat gerade noch gefehlt

Von einer Vielzahl von Insekten gleichzeitig gestochen zu werden, einen Dartpfeil in den Oberarm zu bekommen oder auch einfach nur einmal heftige körperliche Stresssymptome zu erleben: Für viele Menschen ist das leichter gesagt als getan. Insekten werden hierzulande immer weniger, nicht in jeder Dartkneipe findet sich gleich ein Spieler mit hinreichend hohem Alkoholpegel für derart entgleiste Würfe, und für starken, körperlich empfundenen Stress muss wahlweise die Wochenarbeitslast, der tägliche Nachrichtenkonsum oder die Anzahl mutwillig vom Zaun gebrochener Streitigkeiten erhöht werden. All das erfordert Einsatz und Planung, und während es Insektenspray und Angebote für jede erdenkliche Art der Entspannung gibt, werden Liebhaber von Kreuch- und Fleuchtieren sowie Zittern und beschleunigtem Herzschlag mit ihren Bedürfnissen abseits des Massengeschmacks fast gänzlich allein gelassen. Fast. Denn ein Unternehmen hat sich glücklicherweise dieser Menschen angenommen und auf der Technik-Messe „Consumer Electronics Show“ in Las Vegas eine Marktneuheit vorgestellt: Das mit einer App verbundene haptische Hemd als Stimulator; Bluetooth-kompatibel und in sechs unterschiedlichen Größen erhältlich. Neben den genannten Gefühlen gibt es noch eine Reihe anderer Reize vom Luftzug beim freien Fall bis hin zur zarten Vibration beim Standgas im Auto und von der leichten Bauchwunde bis hin zur, nun ja, schweren Bauchwunde. Die Erfindung des spanischen Unternehmens OWO lässt keine spürbaren Wünsche offen.

Konzipiert ist das Ganze übrigens nicht als eigenständiges Produkt für langweilige Tage, an denen man sich auch über einen Fußball am Kopf freuen würde, wenn das nur Abwechslung verspräche, sondern als Ergänzung für die Besucherinnen und Besucher virtueller Welten bzw. für Gamerinnen und Gamer. Im audiovisuellen Bereich hat sich für diese schließlich bereits einiges getan, wie die Erinnerung an pixelige Computerspiel-Pioniere und deren oftmals recht minimalistisch bestückte Tonspuren offenbart. Dass mit dem Tastsinn nun eine dritte Wahrnehmungsebene intensiver erlebbar gemacht werden soll, um das Spielerlebnis noch realistischer werden zu lassen, erscheint vor dem Hintergrund dann auch folgerichtig und erklärt zudem die auf den ersten Blick doch recht speziell anmutende Auswahl an möglichen Empfindungen. Nicht selten schließlich sind Games stark Action-lastig und Kampfhandlungen sowie die daraus resultierenden Verletzungen wichtiger Teil des Plots. Da ist es gut vorstellbar, dass ein körperliches Erleben der im Spiel gesehenen und gehörten Ereignisse das Eintauchen in die Spielewelt vertiefen und auch den erwünschten Nervenkitzel nennenswert erhöhen kann. Einziger Wermutstropfen: Die Shirts sind so neu, dass sie ohne Weiteres noch gar nicht erhältlich sind.

Welche bereits frei verkäuflichen Produkte bei Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland zwar vielleicht nicht für Nervenkitzel, dafür aber für Begeisterung sorgen, zeigt unsere aktuelle Studie „Produkt-Champions 2022“ in einem branchenübergreifenden Ranking. Wertgeschätzt wurden dabei nicht unbedingt außergewöhnliche Tech-Neuheiten aus Las Vegas, sondern vielmehr solche Dinge, die den Alltag durch ihren praktischen Nutzen oder ihr attraktives Design bereichern, die Spaß machen oder das Leben einfach ein kleines Bisschen erleichtern. Heftige körperliche Stresssymptome jedenfalls sollten diese Produkte bei den Befragten eher nicht auslösen. Wer danach sucht, weiß nun aber immerhin, welcher Anbieter in der Lage ist, dieses besondere Bedürfnis zu befriedigen.

Text & Redaktion

Marieke Kötting